"Sie tanzt wahnsinnig gut, diese Körperbeherrschung und Ausstrahlung!
Aber sie bringt es (ihren Schülern) nicht rüber." - "Er ist ein
absoluter Fachmann in dieser Tanzrichtung und weiß immens viel, aber
er kann sich nicht auf das Niveau der Leute runterlassen. Das Tanzen macht
so keine Freude." Besonders der letzte Ausspruch über die "Freude"
beim Lernen und Tanzen deutet daraufhin, wie wichtig die Unterrichtsmethode
der Tanzlehrerin/des Tanzlehrers ist. Freude beim Lernen ist natürlich
etwas sehr Subjektives, sie hängt nicht ausschließlich von der
Methode des Lehrenden ab. Interesse an der jeweiligen Tanzrichtung, allgemeine
Bewegungsfreude, Offenheit für soziale Kontakte oder die Persönlichkeit
der Lehrerin/des Lehrers usw. sind weitere wichtige Aspekte. Von welchen
Kriterien methodische Wege beeinflusst werden, soll folgendes Schema
veranschaulichen:
Zielsetzungen
(didaktisch) |
beeinflussen
Methodenentscheidungen
|
|
Voraussetzungen und Interessen der Schüler |
personale Voraussetzungen des Lehrers |
allgemeine Rahmenbedingungen |
Merkmale und Strukturen des Tanzes |
In den folgenden Abschnitten werden die Aspekte "Voraussetzungen und
Interessen der Schüler", "personale Voraussetzungen des Lehrers" und
"unterrichtliche Rahmenbedingungen" nur am Rande erörtert. Schwerpunkt
dieses Aufsatzes sollen die Einflüsse der "inhaltlichen Strukturen
eines Tanzes" auf den Vermittlungsweg sein. Da aber didaktische Zielsetzungen
die Methode entscheidend beeinflussen, sozusagen die grobe Richtung vorgeben,
werden dazu vorweg grundsätzliche Überlegungen aufgezeigt und
angestellt.
1. Zielsetzungen
Sie beeinflussen immer den Unterricht. Denn jeder Unterricht verfolgt bewusst
oder unbewusst bestimmte Ziele, über die meistens kaum oder gar
nicht mehr reflektiert wird. Der Lehrende hat dabei ein mehr oder weniger
festgelegtes Unterrichtskonzept (Verlaufsplan), an dem er sich orientiert.
Ihm geht es z. B. um die Vermittlung festgelegter Bewegungsfolgen im Tanz,
ein weiteres Ziel ist vielleicht, diese möglichst schnell und exakt
seinen Schülern beizubringen. Der Lehrer als Fachmann macht vor, der
Schüler lernt durch Imitation. Freude kommt dann auf, wenn die SchülerInnen
die Bewegungen immer besser und selbständiger beherrschen.
Eine solche Unterrichtsmethode wird gern bezeichnet als
-
produkt- und lernzielorientiert
-
reproduktiv
-
darbietend und deduktiv
Sie ist in der Regel lehrerzentriert.
Der überwiegende Teil des Unterrichtens in denjenigen Tanzrichtungen,
bei denen in erster Linie ein "fertiges Endprodukt" erwartet wird (z.B.
eine Jazzformation, ein historischer Tanz, ein Gesellschaftstanz, ein Volkstanz
u. ä.) verläuft nach diesem Muster. Diese Form des Unterrichtens
(gewöhnlich mit "geschlossener Unterricht" bezeichnet) ist in Pädagogik
und Didaktik häufig kritisiert worden. Insbesondere bei ausschließlich
reproduktivem Unterricht, so heißt es, werden die SchülerInnen
zu Konsumenten erzogen. Den Anhängern eines "offenen Unterrichts"
geht es dagegen nicht so sehr um die Vermittlung bestimmter Inhalte - dieser
Unterschied in der Zielsetzung ist unbedingt zu beachten. In diesem Unterricht
steht der/die Lernende mit seinen Ideen und Möglichkeiten im Vordergrund.
Sie sollen erkannt und gefördert werden. Wesentliches Gestaltungsmoment
ist die (allerdings auch vom Lehrer formulierte) Bewegungs- oder Improvisationsaufgabe,
für die der Schüler/die Schülerin Lösungen finden soll.
Sie ist dem Schüler sowohl Impuls als auch Grenze. Im Gegensatz zum
darbietenden Unterrichtskonzept können und müssen die SchülerInnen
eigene Bewegungen als Lösung einbringen. Daraus ergibt sich natürlich,
dass mehrere Lösungsmöglichkeiten zugelassen werden müssen.
Der Erfolg eines solchen Unterrichts ist wesentlich abhängig von der
Fähigkeit, die Bewegungsaufgabe angemessen zu formulieren. Die Grenze
darf weder zu weit noch zu eng gesteckt sein, die Aufgabe muss die
Vorerfahrungen der Lernenden berücksichtigen. Man muss wie immer,
so auch hier, die SchülerInnen "dort abholen, wo sie stehen".
Dieses Unterrichtskonzept wird bezeichnet als
-
prozessorientiert
-
produktiv und kreativ
-
entwickelnd oder induktiv
Der Unterricht ist schülerzentriert. Oft entsteht hier ein von den
Schülern gestaltetes Endprodukt. Diese Unterrichtsform fördert
die Selbstständigkeit und Kreativität der Schüler, denn alle
Ergebnisse gehen auf die Schüler selbst zurück. Dazu ein Beispiel
in zwei Stufen:
Einfache Aufgabe: Die folgende Musik hat zwei wiederkehrende
Teile (Musik einspielen). Benutzt auf den ersten Teil die Grundbewegung
"Gehen". Versucht dabei, möglichst runde Raumwege zu zeichnen. Beim
zweiten Teil sollen mindestens zwei Varianten des Hüpfens eingesetzt
werden.
Voraussetzungen: Kenntnis der Grundbewegungsarten und ihrer Varianten;
Fähigkeit, musikalische Phrasen zu erkennen.
Steigerungsaufgabe: Entwickelt zu einer Western-Musik im 4/4-Takt
eine 16-taktige Tanzfolge zu Paaren mit geregeltem Partnerwechsel (Mixer).
Voraussetzungen: Kenntnisse einiger Figuren aus amerikanischen
Tänzen - Vertrautheit mit Mixern - Fähigkeit, musikalische Phrasen
zu erkennen - Vertrautheit mit Variationen von gängigen Bewegungsmustern
u.a.
Wenn Schüler mit dieser Unterrichtsform keine Erfahrungen haben,
tun sie sich am Anfang sehr schwer mit der "großen Freiheit". Sie
müssen sehr behutsam damit umzugehen lernen. Irgendwann wiederholen
sich die von einem Schüler eingebrachten Lösungen, sein Repertoire
ist erschöpft. Hier können dann reproduktive Formen eingesetzt
werden, indem z. B. Lösungen einzelner Schüler von allen anderen
Schülern übernommen und geübt werden. Auch der Lehrer kann
das Repertoire vervollständigen oder die Bewegungstechnik verbessern.
Es entstehen Konzepte wie z. B. das in der tänzerischen Gymnastik
von Engel/Küpper vorgeschlagene "Finden - Üben - Gestalten",
die produktive und reproduktive Elemente enthalten.
Dabei fließen auf einer mittleren Planungsebene weitere Zielsetzungen
ein:
-
Tanzen und nicht nur Schritte lernen
-
Verbesserung von Ausdruck und Haltung
-
hohe Bewegungsintensität, Ausbildung der allgemeinen Ausdauer
-
Koordinationsschulung
-
gute Gruppenatmosphäre, Geselligkeit
Eine differenzierte Methode wird immer dann notwendig, wenn sich Schüler
einen schwierigeren Tanz nicht ganzheitlich, d.h. in einem einzigen Lernakt,
aneignen können. Dann muss die Tanzbewegungsfolge vereinfacht
oder zerlegt werden. Die Bewegungen können verlangsamt werden. Man
geht vom Einfachen zum Komplexen, vom Leichten zum Schwierigen. Jetzt ist
die Phantasie und Flexibilität des Lehrenden gefordert, denn nicht
allen Tänzen kann man ein bewährtes methodisches Vorgehen überstülpen.
Tänze sind von ihren Merkmalen her sehr unterschiedlich.
Das verlangt nach Anpassung in der Vermittlung. Die Weitergabe eines englischen
Kontratanzes erfordert eine andere Vorgehensweise als das Erlernen eines
mazedonischen Kreistanzes im 15/16-Takt oder einer Kombination von Jazzdance-Elementen. Die Schwierigkeiten für die Schüler sind völlig
unterschiedlich. Vor allem bei einem überwiegend reproduktiven Unterrichtskonzept
müssen inhaltliche Merkmale und Strukturen des zu lernenden Tanzes
Auswirkungen auf die methodische Vorgehensweise haben. Jede/r praxiserfahrene
Tanzleiter/in weiß um diese Unterschiede. Er kennt die "Tücken"
SEINER Tanzrichtung und hat gelernt, damit umzugehen. Er/Sie hat sich seine/ihre
Vorgehensweise zurechtgelegt. Stereotype, immer gleiche Methoden sind allerdings
nicht angebracht, denn andere Inhalte brauchen andere Methoden. Variation
und Vielfalt sind gefragt!
2. Einflüsse von inhaltlich/sachlichen Strukturen und Merkmalen eines
Tanzes/Tanzbereiches auf die methodische Vorgehensweise
Gibt es Kategorien von Merkmalen von Tänzen oder Tanzrichtungen, die
ein bestimmtes methodisches Vorgehen nahe legen? Aus der Praxis ist diese
Frage sicherlich mit ja zu beantworten. Viele Tanzrichtungen haben ihre
spezifischen Schwierigkeiten und erfordern eine entsprechende Methode.
Ist es möglich ein System zu entwickeln, das aufgrund besonderer Merkmale
eines Tanzes eine bestimmte methodische Vorgehensweise nahe legt? Dazu müsste
die Vielzahl der Tänze und Tanzrichtungen zuerst einmal analysiert
und nach Kriterien geordnet werden, die z. Zt., wenn überhaupt erarbeitet,
auf keinen Fall schon unumstößlich abgesichert sind. Solch ein
Analysekonzept liefert Sachs (in Günther). Er unterscheidet zwei Gruppen
von Tänzen:
Bewegungstänze (Tänze mit dem Körper) und Krampftänze
(Tänze gegen den Körper). In den Bewegungstänzen will der
Mensch seinen Körper durch den Raum tragen, will frei und leicht wirken.
Dagegen wird der Körper bei den Krampftänzen schwer gemacht,
die Muskeln stehen unter großer Spannung, der Tänzer strebt
nach Rausch und Ekstase (GÜ 75 21-22).
Tänze gegen den Körper gibt es natürlich nicht. Alle
Tänze benötigen den Körper des Tanzenden. Sachs bewertet
die eine Gruppe von Tänzen positiv, die anderen entsprechen nicht
seiner ästhetischen Norm und werden deshalb von ihm als negativ eingestuft.
Sein Interesse war (aus seiner Sicht), "gute" und "schlechte" Tänze
zu unterscheiden. Mit dieser Einteilung können wir heute wenig anfangen.
Sie zeigt aber, dass jeder Einteilung eine gewisse Sichtweise zugrunde
liegt. Bei der Aufstellung von Unterscheidungskategorien wird also offenbar
eine Wertung vorgenommen, die mit einem zugrunde liegenden Interesse verknüpft
ist.
Bewegungsanalysen im Sport
Die bis jetzt vorliegenden Bewegungsanalysen im Bereich Tanz sind meistens
Beschreibungen von Tänzen und Tanzrichtungen. Wesentlich mehr Bewegungsanalysen
liegen im Sport vor. Auch Konzepte zur Gliederung solcher Analysen sind
in der Bewegungslehre wesentlich weiterentwickelt. So untersuchte Göhner
(1979) verschiedene Bewegungsanalysen im Hinblick auf das "leitende Interesse"
und unterschied vier verschiedene Grundtypen:
-
Inhaltsanalysen versuchen im wesentliche Bewegungen zu beschreiben
-
Ordnungsanalysen ordnen Bewegungen nach bestimmten Kriterien
-
Optimierungsanalysen untersuchen Bewegungen nach qualitativen und quantitativen
Merkmalen
-
Aufgabenanalysen versuchen, bestimmten Bewegungen eigene bestimmte Zielsetzung zuzuordnen
Bewegungsanalysen im Tanz
Optimierungsanalysen gibt es im Tanz nicht viele. Über die
biomechanischen Parameter eines Ballettsprunges als Basis für eine
Optimierung hat sich bis heute kaum jemand ausgelassen (mir sind jedenfalls
solche Abhandlungen nicht bekannt). Sicher gibt es aber in den
Tanzrichtungen, die ihr Ziel in der Vorführung vor Publikum haben, mehr oder
weniger anerkannte Qualitätsmerkmale. Noch weniger werden bestimmte Tanzrichtungen
oder Tänze explizit analysiert und dann konsequent in Aufgabenform
formuliert. Im Tanzbereich gibt es aber viele Inhaltsanalysen. Jede Tanzbeschreibung
oder Beschreibung einer Tanzrichtung fußt auf einer solchen Inhaltsanalyse.
Ordnungsanalysen werden dann vorgenommen, wenn vorhandenes Material, wie z. B. Volkstänze aus Bayern oder Stilrichtungen im Jazztanz, nach geeigneten
Merkmalen geordnet werden sollen. Um Entscheidungshilfen für eine methodische
Aufbereitung eines Tanzes unter Beachtung seiner Eigenheiten zu erhalten,
müssen seine Merkmale analysiert, geordnet und bewertet werden. Das
Interesse einer solchen Analyse wäre also das Erstellen methodik-relevanter
Merkmale. Gibt es einen Katalog von Merkmalen, in die man alle Tänze
einordnen kann? Hier sollen wenigstens einige Gesichtspunkte für die
Unterrichtsgestaltung folgen, die als Merkmale des Tanzes gleichzeitig
Unterscheidungs- und Ordnungskriterien für
die Gestaltung des Unterrichts abgeben können - es ist ein Versuch,
unvollständig und ergänzungsbedürftig, aber als Versuch
ernst gemeint:
-
Wer tanzt? Frauen, Männer, Paare.
-
Welche sozialen Beziehungen bestehen/bestanden zwischen den Tänzern? Einzelpersonen, Gruppen,
Paare, gleichberechtigte Partner, ...
-
Welche Formationen und Fassungen werden eingenommen? Reihe, Gasse, Kreis,
... V-Fassung, Tanzhaltung,...
-
Welche Utensilien werden benutzt?
-
Wie sehr zielen die Tänze auf Ekstase oder ermöglichen diese?
-
Welche Raumwege sind bei den Bewegungen vorherrschend?
-
Welche Dynamik kann man dem Tanz zuschreiben?
-
Welche Merkmale hat die Musik des Tanzes? Takt, Rhythmus, Melodie, Text,
Instrumente, Form, ...
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Welche Rhythmen haben die Bewegungen?
-
Welche Struktur hat der Tanz? Teile, Motivfolgen, Wiederholungen, ...
-
Wie groß ist die Übereinstimmung von Tanz- und Musikform?
-
Welche Funktion hat/hatte der Tanz? Aus welchem Anlass und in welchem
kulturellen und sozialen Rahmen wird/wurde er getanzt? Gesellige, kultische,
erotische Motive Wettkampf, Präsentation, Kunst, ...
Welche Auswirkungen können bestimmte Merkmale eines Tanzes ganz konkret
auf den Vermittlungsweg haben? Diese Überlegungen sollen in einem
der nächsten Hefte an entsprechenden Beispielen aufgenommen werden.
Literatur:
Bielefelder Sportpädagogen: Methoden im Sportunterricht, Schorndorf
1989
Engel, R./Küpper, D.: Gymnastik: Finden-Üben-Variieren-Gestalten,
Schorndorf 1978
Göhner, U.: Bewegungsanalysen im Sport, Schorndorf 1979
Günther, H./Schäfer, H.: Vom Schamanentanz zur Rumba, Stuttgart
1959
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